Das Haus Brüderstraße 29 war ein historisches Gebäude in der Brüderstraße auf der Spreeinsel in Cölln (heute Berlin-Mitte).
Lage und Umgebung[]
Im Zuge der Reformation erhielt die Brüderstraße ein weltlicheres Aussehen, als sie es bisher gehabt hatte. Sie wurde mit zahlreichen Fachwerkhäusern bebaut. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts fielen allerdings mehrere dieser Häuser einem Brand zum Opfer. Der Wiederaufbau wurde durch den Großen Kurfürsten vorangetrieben, sodass Johann Stridbeck der Jüngere auf seinem Prospekt von 1690 bereits zahlreiche stattliche Bauten verewigen konnte. Auf der linken Straßenseite waren zu Stridbecks Zeiten vor allem Renaissancegiebelhäuser vertreten, auf der rechten sind Bauten im holländischen Barockstil, den vor allem Arnold Nering vertrat, zu sehen, darunter das palastartige Haus Nr. 10, das 1737 vom Kabinettsminister von Happe verkauft wurde, weil vor der Tür eine unschuldig Verurteilte gehenkt worden war.
Etwa ein Jahrhundert nach Stridbeck bildete Catel die Straße ab. Die alte Petrikirche war mittlerweile abgerissen und durch den glücklosen Nachfolgebau ersetzt worden, der zu Catels Zeiten noch unvollendet war. Im September 1809, bald nach Vollendung des Catelschen Bildes, brannte die Bauruine nieder. Dieser Brand von 1809 wurde wiederum auch etlichen Wohnhäusern in der Brüderstraße zum Verhängnis, nicht aber dem Haus Nr. 29.
Beschreibung und Eigentümer[]
Anfänge[]
Ein erstes Zeugnis über die Existenz dieses Hauses legt eine Grundbuchakte aus dem Jahr 1714 ab. Damals ging das Haus aus dem Besitz der von Eichstädtischen Erben in den Christian George von Blüchers über. Den Namen „Blüchersches Haus“, den es nach diesem Besitzer trug, behielt es auch noch, als es im Jahr 1755 an Peter Vigne verkauft worden war. Vigne zahlte für das Gebäude 12.000 Taler und damit das Doppelte des ursprünglichen Kaufpreises.
Das dreigeschossige Gebäude war verputzt und hatte eine Front von fünf Fenstern. Über dem zurücktretenden Mittelrisaliten befand sich ein Fledermausgaube in einem steilen Satteldach. Das mittlere Stockwerk wies geradlinige Balkenverdachungen über den Fenstern auf. Hans Mackowsky hielt das Haus für „eine gute Probe des Haustyps, wie er sich vom zweiten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts an, zu Beginn der Regierung Friedrich Wilhelms I., in Berlin ausgebildet hat: durchaus bürgerlich und in der schmucklosen Gefälligkeit jenes verzopften Barocks, das der sparsamen Zeit des Soldatenkönigs die allgemeine Prägung lieh.“[1]
Decker[]
Am 1. April 1765 kaufte Georg Jacob Decker das Haus. Decker war 1751 nach geschäftlichen Misserfolgen nach Berlin gekommen und war beim Hofbuchdrucker Henning untergekommen. Dort hatte er Reinhard Grynäus zum Kollegen, dessen Schwester Luise Dorothea er nach dem Tod seines Vaters, der sich dieser Verbindung widersetzt hatte, Anfang 1755 heiratete. Decker bemühte sich erfolgreich, das Grynäussche Offizin wieder wirtschaftlich flottzumachen. Nach dem Siebenjährigen Krieg verdiente er unter anderem an dem von Calzabigi eingerichteten genuesischen Lotto, für das besondere Pressen erforderlich waren. Diese standen im Finckensteinschen Palast. Nach einem Intermezzo als Lottodirektor und Kollekteneinnehmer besann sich Decker wieder auf seinen ursprünglichen Beruf und beantragte schließlich die Anwartschaft auf den Titel eines Hofbuchdruckers. Nachdem sein ehemaliger Arbeitgeber Henning gestorben war, erhielt er tatsächlich dessen Titel und Amt. Zu diesem Zeitpunkt kaufte er das Haus in der Brüderstraße, das nun für längere Zeit sein Wohnsitz und seine Arbeitsstätte als Hofbuchdrucker sein sollte. Dies erforderte einige Umbauten: Während das Vorderhaus, dessen Mitteletage die Familie Decker bezog, unverändert blieb, mussten ein Seitenflügel und das Quergebäude für die Druckerei umgestaltet werden. Im zweiten Stock des linken Hofflügels richtete Decker eine Schriftgießerei ein.
In die Wohnung der Familie Decker gelangte man von der Hofeinfahrt aus über ein Treppenhaus mit schmiedeeisernem Geländer, das später, nach dem Abriss des Hauses, ins Märkische Museum kam. Die Wohnung verfügte über drei Front- und sechs Hofzimmer. Dort verkehrte unter anderem Johann Jakob Engel, der Leibarzt Friedrichs II. Johann Carl Wilhelm Moehsen, der Astronom Bode, der Botaniker Gleditsch und andere, darunter der Dichter Gottlob Wilhelm Burmann und die Karschin. Letztere erfuhr in der Brüderstraße 29, dass Friedrich Wilhelm II. ihr ein eigenes Haus zukommen lassen wollte. Im Juni 1792 überließ Decker das Geschäft seinen Erben. Er lebte dann noch bis 1799 in der Beletage des Hauses, obwohl sein Sohn bereits 1794 die Druckerei in die Wilhelmstraße 75 verlegt hatte.
Humbert[]
1795 wurde das Haus an die Seidenfabrikanten Jean Paul Humbert und Johann Franz Labry verkauft. Diese gestalteten den rechten Seitenflügel, der bislang als Waschhaus gedient hatte, zum Warenlager um und richteten ihre Verkaufsräume im Erdgeschoss des Vorderhauses ein. Nach dem Tod Deckers 1799 zog Jean Paul Humbert in den ersten Stock des Vorderhauses ein. Als geselliger Mann legte Humbert Wert auf entsprechende Räumlichkeiten. Er ließ eine Wand zwischen den zwei Zimmern an der Nordseite des Hauses herausbrechen und schuf so einen Saal, der außer zwei Fenstern an der Vorderfront noch ein Hoffenster besaß. Trotz der ungünstigen Lichtverhältnisse sollte dieser Raum angemessen ausgeschmückt werden. Nachdem sich Humbert anlässlich eines Besuches Karl Friedrich Schinkels bei diesem nach einem passenden Maler erkundigt hatte, übernahm Schinkel die Aufgabe, diesen Saal zu möblieren und vor allem auch mit den entsprechenden Bildern auszustatten. Schinkel sorgte für niedrige Möbel, die die auf Leinwand ausgeführten Ölgemälde nicht beeinträchtigten. An der Längswand des Saales waren ein Damenschreibtisch sowie eine Sofalandschaft untergebracht, zu der auch ein runder Tisch und Stühle gehörten. Jenseits eines Wandträgers, der die lange Fläche unterbrach und aus statischen Gründen nicht hatte entfernt werden können, stand der Flügel. Zwischen den Fenstern der vorderen Schmalseite befand sich ein Spiegel über einem Konsoltischchen mit Blattpflanzen. Das hintere Fenster verfügte über einen Tritt, auf dem ein Nähtischchen stand. Die zweite Längswand war durch Flügeltür, Ofen, Süßigkeitenschränkchen etc. besetzt. An der weißen Decke hing ein Kronleuchter, die Möbel hatten pompejanisch-rote Polsterbezüge.

Karl Friedrich Schinkel: Der Morgen
Über dem gemalten Paneel hingen die sechs Ölbilder, die Schinkel z. T. möglicherweise mit Hilfe von Kollegen wie dem Theatermaler Karl Wilhelm Gropius und dem früh verstorbenen Karl Ferdinand Zimmermann innerhalb eines halben Jahres[2] gestaltete: Der Morgen, Der Mittag, Der Nachmittag, Die Abenddämmerung, Der Abend und Die Nacht. Sie waren, je nach den Erfordernissen des Raumes, verschieden breit, aber jeweils ziemlich genau 2,60 Meter hoch. Nach Jean Paul Humberts Tod im Jahr 1831 zog dessen ältester Sohn Eduard in die Beletage der Brüderstraße 29. Er behielt den Saal in der von seinem Vater gewählten Gestalt bei. Für den Laden wurde 1834 ein „Schauspind“ mit Schinkelschem Palmettenfries geplant; ob dieser jedoch tatsächlich gebaut wurde, ist nicht sicher. Eduard Humbert trat das Geschäft 1854 an seinen Neffen Louis Gärtner ab, der schon 1816 Labry als Sozius ersetzt hatte. Die Schinkelgemälde wurden testamentarisch dem König Wilhelm I. vermacht, wechselten mehrfach ihren Standort und gelangten schließlich wieder nach Berlin zurück.
Koch[]
Nachdem Eduard Humbert und seine Frau gestorben waren, wurde das Haus 1868 an Ernst Benjamin Koch verkauft. Dieser richtete in der Brüderstraße 29 die Metall- und Glasbuchstabenfabrik Koch und Bein ein. Koch schmückte die Fassade mit allerlei Schildern, Medaillen und Wappen sowie mit anderthalb Meter hohen freiplastisch in Zinkguss dargestellten Männern aus dem preußischen Wappen. Er wollte eigentlich das Haus komplett umbauen, entschloss sich dann aber, stattdessen in die Ritterstraße 49 umzuziehen, und verkaufte das Gebäude 1888 an Rudolph Hertzog.
Hertzog[]

Die Brüderstraße im 19. Jahrhundert
Hertzog ließ das alte Satteldach mit der Fledermausgaube abreißen. Der Sims wurde erhöht und die Fassade vereinfacht. Der Saal, den Decker angelegt hatte, wurde nun mit anderen Räumen zu einer ganzen Zimmerflucht zusammengelegt. Die Brüderstraße war im 19. Jahrhundert zu einer Geschäftsstraße geworden. Die gesamte Front der einen Seite, von der Scharrenstraße bis zur Neumannsgasse, bestand nun aus der Rückseite des Hertzogschen Warenhauses.
Im 19. Jahrhundert wurde irrtümlicherweise eine Gedenktafel für Johann Ernst Gotzkowsky, der im Nachbarhaus gewohnt hatte, an dem Haus Brüderstraße 29 angebracht.[3]
Literatur[]
- Hans Mackowsky, Brüderstraße 29, in: Hans Mackowsky, Häuser und Menschen im alten Berlin, Berlin 1923, Nachdruck 1996, ISBN 3-7861-1803-5, S. 79–115
Einzelnachweise[]
- ↑ Hans Mackowsky, Brüderstraße 29, in: Hans Mackowsky, Häuser und Menschen im alten Berlin, Berlin 1923, Nachdruck 1996, ISBN 3-7861-1803-5, S. 79–115, hier S. 84
- ↑ Mario Alexander Zadow: Karl Friedrich Schinkel. Leben und Werk, Edition Axel Menges ³2002, ISBN 978-3932565298, S. 79
- ↑ Nina Simone Schepkowski: Johann Ernst Gotzkowsky. Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin, Oldenbourg Akademieverlag 2009, ISBN 978-3050044378, S. 265
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